Seit längerem spiele ich schon mit dem Gedanken, einen Artikel über die Zukunft des E-Commerce zu verfassen. Und das, allein schon aus Dokumentationsgründen. Gerne würde ich in drei oder fünf Jahren einmal zurückblicken und mir bestätigend auf die Schulter klopfen. Der eigentliche Anlass jedoch ist ein Artikel von Alexander Graf, einem E-Commerce Unternehmer, gelernt bei der Otto-Gruppe und aktuell Co-CEO bei Spryker. By the way: Spryker ist ein relativ junges, modulares Shopsystem bzw. Framework. Versprochen wird hier eine sehr kurze Time-to-Market Spanne.
Der Artikel von Alexander, ich hoffe er sieht es mir nach, wenn ich ihn branchenüblich Duze, trägt den Titel „Zukunft des E-Commerce: 9 Dinge für Kunden, Händler, Hersteller und Marken“ und ist auf kassenzone.de zu finden. In diesem Artikel beschreibt Alexander anschaulich das Sterben stationärer Geschäfte und die Entwicklung der Webshop-Ökonomie hin zu einer einzigen Plattform.
Zukünftig keine Geschäfte mehr?
Sicher wird sich das Stationärgeschäft weiter zurück entwickeln. Ein völliges Erliegen möchte ich jedoch nicht prognostizieren. (vgl. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/innenstadt-an-handelszentrum-trotz-corona-nicht-verloren-16870347.html) Vielmehr ist es aus meiner Sicht zwingend für stationäre Händler erforderlich viel mehr auf Omni- und auch Multi-Channel zu setzen und den Laden vor Ort als Schaufenster zur digitalen Verkaufsfläche umzubauen und mit in den Online-Kanal zu integrieren. Es ist korrekt angemerkt, dass es zukünftig auf den Luxus pompöser und stellenweise sehr luftiger Verkaufsflächen zu verzichten gilt. Denkbar wäre es für mich, dass es Geschäfte im Jahr 2027 zwar noch gibt, diese jedoch Teil eines digitalen Systems sind. Beim zukünftigen „Shoppen“ probiert man noch an (bzw. die Männer eher „aus“), nimmt in die Hand, fühlt, testet, trinkt dabei vielleicht noch einen Kaffee, dann scannt man den Wunsch-Artikel und dieser wird binnen der nächsten Stunden, spätestens jedoch am nächsten Tag in den Kofferraum unseres Autos gelegt.
Auch für das Stationärgeschäft gilt somit die Aussage, dass diejenigen mit den besseren Digitalstrategien die besseren „Überlebenschancen“ haben. Und hier, das muss ich leider immer wieder feststellen, ist Deutschland tatsächlich Entwicklungsland, insbesondere auch an den nutzbaren Bezahlsysteme zu erkennen.
Zukunft des E-Commerce in Form von Onlineshops
Jetzt kommen wir aber zur spannenden Frage ob Onlineshops in der heutigen Form noch Zukunft haben bzw. ob man auf diese Strategie setzen soll? Hier muss man unterscheiden ob Unternehmen mit einem Onlineshop oder ob Unternehmen mit einem Onlineshop und einer Omni- bzw. Multi-Channel-Strategie zukünftig noch wettbewerbsfähig sind. Ich vermute mal am Satzbau erkennt man, worauf ich hinaus möchte. Den Klassiker „Ich habe einen Onlineshop, damit ich auch online zu finden bin“, also das Betreiben des Webshops nur um des „online-sein“ Willens ist ganz sicher auch heute schon kein Zukunftsmodell.
Wofür also ein Onlineshop betreiben? Wie gesagt, geht es nicht darum einfach eine Website zum Verkauf von Waren bereitzustellen, sondern es darf bzw. muss schon etwas mehr sein. Wenn ich heute von einem Onlineshop spreche, so spreche ich von einem E-Commerce System. Quasi ein E-Commerce System mit Frontend.
Der Onlineshop lebt!
Also ja, ein Onlineshop hat jetzt und auch zukünftig noch seine Daseinsberechtigung. Allerdings nicht als Stand-Alone System, sondern eigentlich ist das Frontend des eigenen Webshops fast nur das „Abfallprodukt“ um seine Multi-Channel-Strategie zu bündeln.
Ich möchte hier gar nicht so sehr ins Systemdetail gehen, jedoch haben genau dies Spryker, Commercetools, Brickfox, Magento, Shopware (gibt es jetzt auch in der Cloud), Shopify und auch um den Social Media Shopping-Bedarf zu decken: Ecwid, erkannt und decken hier viel mehr ab als nur das Frontend. Nebenbei sei erwähnt, dass diese Liste natürlich alles andere als Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Jedoch gilt auch hier der Leitsatz „A fool with a tool is still a fool“. Man muss schon auch etwas Arbeit in die Digitalisierung der Vertriebsstruktur stecken, ganz umsonst gibt es das leider nicht. Wie auch schon korrekt erkannt wurde, ist es schon lange nicht mehr möglich ein Amazon, Zalando, About you & Co technisch zu überflügeln. Und Gott-Sei-Dank auch gar nicht nötig. Jedoch sollte man sich eines Systems bedienen, welches das State-of-the-Art Kundenerlebnis auch wirklich bietet. Hierzu sind oben genannte Systeme sicher geeignet.
Diversifizierung des Angebots
Die Diversifizierung des Angebots auf den verschiedenen Kanälen macht es möglich die Margen am Produkt situativ anzupassen und das Sortiment mit Reichweite auszuspielen. Die Strategie des eigenen Onlineshops kann aus meiner Sicht nur dann gewinnbringend aufgehen, wenn ich das Sortiment auf dem Markt orchestriere. Ich darf nicht in Abhängigkeit eines einzelnen Marktplatzes geraten, dass birgt ein unkalkulierbares Risiko.
Brauche ich einen USP?
In der heutigen Zeit, insbesondere als Händler, wird es schwer einen USP, also ein Alleinstellungsmerkmal, für sich zu beanspruchen. Aus meiner Sicht ist es auch gar nicht nötig, da der Aufbau des Alleinstellungsmerkmals unverhältnismäßig hoch wäre. Viel wichtiger ist es, in dem was vom Kunden erwartet wird, einfach besser zu sein als viele andere. Versuchen Sie doch mal bei Amazon anzurufen und eine Beratung zu einem bestimmten Objektiv einzufordern. Oder nehmen Sie Kontakt zu Zalando auf und lassen sich den Unterschied der Obermaterialien von Schuhen erläutern und versuchen Sie Infos zu einer bestimmten Innensohle zu ergattern.
Spätestens hier sind dem Plattform- und Marktplatzsystem Grenzen gesetzt. Und genau diese Vorteilskarte gilt es auszuspielen. Auch wenn Amazon-Kunden (noch!) sehr loyale Kunden sind, so gilt das noch lange nicht für andere Plattformen. Ich habe bereits 2002 ein junges Unternehmen kennen lernen dürfen, welches Quads über die Plattform „ebay“ angeboten hatte. Soweit ich mich entsinne haben Sie nicht ein Quad über ebay verkauft, aber sämtliche Leads hierüber erhalten.
Das läuft heute sicher etwas anders, aber an diesem Beispiel sieht man, dass es sehr wohl möglich ist Traffic – und hier schließt sich der Kreis – auf den eigenen Onlineshop zu generieren. Jedes Dokument, jeder Mailverkehr, jedes Sortimentsangebot stärkt dabei auch immer etwas den eigenen „Brand“. Komplettieren kann man diesen Traffic natürlich auch noch beispielsweise mit gut ausgesteuerten Smart-Shopping und Retargeting-Kampagnen.
Den Onlineshop als solchen als „Tod“ zu deklarieren, ist für mich etwas zu früh. Denn erst jetzt, kommen viele „alte“ wie auch neue Onlineshopper auf den Geschmack auch online ein bisschen stöbern zu wollen. Wie gut, dass Personalisierungsanbieter heute für eine Vielzahl von Shopsystem reichhaltig zur Verfügung stehen.
Das Image der „Großen“ leidet
Auch mit in die Karten dürfte der Trend spielen, dass das Image der Global Player, allen voran der Marktplatz von A-Z, leidet. Hier hat Amazon schon seit längerem Probleme. Ich bin fest der Meinung, dass dieses Image irgendwann (der verlinkte Artikel ist schließlich schon von 2015) zum Problem wird. Und dieser Umstand wird von dem, in der Außenwirkung nicht immer „rechtskonformen“, Marktplatzsystem Jeff irgendwann auf die Füße fallen.
Fazit:
Der Webshop gehört für mich auch in Zukunft noch nicht zum alten Eisen. Die Corona-Krise (mir fällt gerade auf, dass ich Covid-19 erst jetzt das erste Mal erwähne) hat sogar noch etwas dazu beigetragen, dass der E-Commerce insgesamt beflügelt wird. Es ist korrekt, dass viele Onlineshopper mit „Amazon“ einsteigen, aber sind wir doch ehrlich: Von einem großartigen Einkaufserlebnis ist man bei Amazon mittlerweile doch etwas entfernt.
Ich kann an Kunden nur appellieren auch mal über den Quasi-Monopol-Tellerrand zu schauen und sich für das Unternehmen mit Servicegedanken und Fairness entscheiden. Für Bücher (auch wenn für diese Branche stellenweise komplett andere Regeln gelten) schaue ich bei der Hätzfelder Bücherstube und in deren Shop vorbei, für Haushaltswaren ist für mich der Pfannen Joschi erste Anlaufstelle (schaut euch mal die Rezensionen an) und für Kameras und Objektive ist das Fotofachgeschäft Ringfoto Speth eine gute Wahl.
Für Händler wünsche ich mir, dass Sie zukünftig mehr tun als nur die Anmeldung auf der „Lass den Klick in deiner Stadt“ Seite (http://www.buylocal-wuerzburg.de/) , welche sich gerade übrigens im Wartungsmodus befindet und auch auf die übliche SSL-Verschlüsselung verzichtet. Sie sollten sich intensiv mit der Angebotsdiversifizierung Ihres Sortiments beschäftigen. Dazu bedarf es nicht gleich die Umsetzung von situative Echtzeit-Personalisierung auf dem eigenen Shop oder Nutzung von Programmatic Advertising, um Traffic zu generieren. Ein Margenangepasstes Preishandling und ein hoher Automatisierungsgrad für Backoffice-Tätigkeiten reichen hier meist aus, um erste und auch nachhaltige Erfolge zu generieren. Schließlich möchte das Online-Umsatzpotential (Quelle: https://www.bundespresseportal.de/onlinehandel-2020-rechnet-mit-umsatzwachstum/) von etwa 64 Milliarden Euro auch irgendwo umgesetzt werden.
Jetzt würden mich tatsächlich auch noch eure Meinungen interessieren? Haben Onlineshops keinerlei Überlebenschancen mehr? Wird es künftig nur noch eine Plattform geben? Ich freue mich auf Feedback.